Bundesgerichtshof missachtet die Lebenswirklichkeit von Kindern in trans* Familien

 Für transgeschlechtliche Eltern gilt zur Zeit noch das in vielen Punkten strittige Transsexuellengesetz (TSG). So werden aktuell für die Kinder von trans* Personen Geburtsurkunden ausgestellt, die nicht der Lebensrealität der Familien entsprechen. Falsche Geburtsurkunden führen im Alltag dazu, dass trans* Eltern ihre Transidentität überall offenlegen müssen, da ihr Erscheinungsbild und die Angaben im Personalausweis nicht mit den Angaben in der Geburtsurkunde des Kindes übereinstimmen. Dieser Zwang zur Offenlegung widerspricht dem Offenbarungsverbot gemäß § 5 Abs 1 TSG und setzt die jungen Familien einer erhöhten Gefahr der Diskriminierung aus.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem am 25. September 2017 veröffentlichten Beschluss entschieden (BGH-Beschluss XII ZB 660/14 vom 06.09.2017), die Lebensrealität von Kindern transgeschlechtlicher Väter zu missachten und deren Diskriminierung billigend in Kauf zu nehmen. Transgeschlechtliche Männer, die Kinder gebären, sollen weiterhin rechtlich nicht als Väter sondern als Mütter ihrer Kinder gelten. In der Geburtsurkunde des Kindes soll der veraltete weibliche Vorname anstelle des aktuellen männlichen Vornamens des Elternteils stehen. Dies hat weitreichende Diskriminierungen für die betroffenen Familien zur Folge.

Sascha Rewald von der AG Elternschaft der Bundesvereinigung Trans* erklärt dazu:
„Mit diesem Beschluss ignoriert der Bundesgerichtshof die Lebensrealitäten von trans* Familien und setzt Kinder unhaltbaren Situationen aus. Die betroffenen Kinder werden durch Geburtsurkunden, auf denen ihr Vater als Mutter bezeichnet und mit einem veralteten Namen genannt wird, fortlaufend Diskriminierungen in Kindergarten, Schule und Freizeit ausgesetzt. Das kann nicht im Sinne des Kindeswohls sein.“

Rewald fügt hinzu: „Diese Entscheidung ist nicht zeitgemäß. Mit dem Wegfall des Sterilisationszwangs im Jahr 2011 erlaubt das Transsexuellengesetz (TSG) schwangere Väter und zeugende Mütter. Der Gesetzgeber hat es in den letzten sechs Jahren versäumt den dringenden Regelungsbedarf, der die Realität dieser Familien anerkennt, anzugehen. Das Bundesfamilienministerium, alle etablierten Parteien und der Bundesrat fordern eine Abschaffung und grundlegende Reform des Transexuellengesetzes.“

Die Bundesvereinigung Trans* fordert:

  • Die rechtliche Zuordnung von Eltern zu ihren Kindern soll geschlechtsneutral erfolgen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) müssen die §§ 1591 und 1592 geändert oder ergänzt werden, sodass sie dann lauten: „Erster Elternteil eines Kindes ist die Person, die es geboren hat.“ Sowie: „Zweiter Elternteil eines Kindes ist die Person, die mit der gebärenden Person verheiratet ist, die die Elternschaft anerkannt hat oder deren Elternschaft gerichtlich festgestellt worden ist.“
  • Eintragungen der Eltern im Geburtenregister und in Geburtsurkunden ihrer Kinder sollen geschlechtsneutral und mit dem aktuell geführten Vornamen der Eltern erfolgen.
  • Das Transsexuellengesetz (TSG) muss abgeschafft und durch ein Geschlechtsanerkennungsgesetz ersetzt werden, wie es in Malta und Argentinien bereits existiert und wie es in einem Gutachten der Humboldt-Universität im Auftrag des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) für Deutschland entwickelt wurde.

Hintergrund:
Zur Vielfalt der heutigen Familienformen zählen auch trans* Familien, also Familien, in denen (mindestens) ein Familienmitglied transgeschlechtlich ist. Die rechtliche Zuordnung von transgeschlechtlichen Eltern zu ihren Kindern in Deutschland war bislang unzureichend geklärt. Insbesondere im Interesse der Kinder ist die Schaffung einer nicht diskriminierenden Zuordnung dringend notwendig.

Mit Beschluss vom 11. Januar 2011 hat das BVerfG die Sterilisation als Voraussetzung für die Personenstandsänderung von trans* Personen für verfassungswidrig erklärt. Seitdem ist es in Deutschland möglich, dass rechtliche Männer Kinder gebären und rechtliche Frauen Kinder zeugen. Immer mehr trans* Personen sehen keinen Widerspruch zu ihrer Transidentität, wenn sie sich dafür entscheiden, Familien zu gründen und zu diesem Zweck ihren Körper und ihre Organe zur Fortpflanzung zu nutzen.

Transgender Europe (TGEU) und der LSVD unterstützen diese Presseerklärung und unsere Forderungen.

Unsere Forderungen im Detail:
Policy Paper Recht der Bundesvereinigung Trans*: Paradigmenwechel – Zum Reformbedarf des Rechts in Bezug auf Trans*
PDF der Pressemitteilung